Was war geschehen ?
Am
28. April 1999 fuhr ich
-mit meinem
Motorrad-
wie
jeden Morgen zur Arbeit.
Für jeden -der sich in Frankfurt am Main auskennt- nenne ich die Straßennamen.
Um 06.45 Uhr befand ich mich vor einer rot zeigenden Ampel in der Glauburgstraße.
Bei grün fuhr ich los und bog -nach links- in den Oeder Weg ein.
Dies
ist genau der Zeitpunkt, ab dem ich mich nicht mehr erinnern kann.
Laut Unfallzeugen und Unfallbericht von der Polizei fuhr ein Pkw aus der
Wolfsgangstraße in den Oeder Weg (siehe hierzu die
polizeiliche Unfallskizze). Die Vorfahrtsregelung ist für den Fahrzeugführer
mit dem Verkehrszeichen "Stop-Schild" geregelt. Der Pkw-Fahrer bog nach
links in den Oeder Weg ein und achtete nicht auf den
vorfahrtsberechtigten Motorradfahrer. Obwohl die vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit in der Wohngebietsstraße von 30 km/h eingehalten wurde,
kam der Motorradfahrer nach einem Ausweich- und Bremsmanöver zu Fall und
kollidierte mit dem Fahrzeug (Fotos
von den geringfügigen Beschädigungen am Krad).
Der
Motorradfahrer war nicht ansprechbar; er hatte wohl sein Bewusstsein
verloren. Äußerlich waren keine Verletzungen zu sehen. Vielleicht hatte ihn
seine Sicherheitskleidung (Motorradjacke mit Protektoren an den Ellenbogen,
Schultern und Wirbelsäule und seinen guten Sturzhelm) vor weiteren Verletzungen
geschützt ?
Ein herbeigerufener Notarztwagen transportierte den Kradfahrer in die BG-Unfallklinik. Dort wurde der Kradfahrer über 9 Stunden notoperiert.
Wie kommt das denn ? Offensichtlich keine Verletzungen und dann über 9 Stunden Operation ?
Aufgrund der Röntgenaufnahmen, wurde festgestellt, daß zwei Wirbel (BWK 11 u. BWK 12) von der Wirbelsäule zertrümmert waren.
Bei der anschließenden Operation wurde der Verletzte von vorne und von hinten geöffnet, um die Wirbelsäule mit einem Titangerüst zu stabilisieren. Um das Rückenmark zu schützen, wurde noch ein Titangitternetz gelegt.
Anschließend ging es zur Intensivstation. Nach 3-tägigem Koma erwachte ich und bemerkte eine “Schwere” in meinen Beinen. Ich konnte sie einfach nicht bewegen.
Na ja, dachte ich, bei einer Bänderrißoperation am Knöchel vor ein paar Jahren in der gleichen Klinik konntest du deine Beine wegen der Narkose -Spinalanästhesie- auch nicht bewegen. Das wird schon wieder. Als meine Frau erschien fragte ich sie: “Bin ich etwa querschnittgelähmt ?” Ja. So ist es.
Die ärztliche Diagnose war niederschmetternd. Ich erlitt neben der Querschnittlähmung in Höhe des Brustwirbelknochens 11 und 12, ein Schädelhirntrauma und einige Zahnschäden.
Erst später stellte sich heraus, dass ich noch den Geschmack- und Geruchsinn teilweise verloren habe.
Nach 2 Wochen Intensivstation wurde ich auf die “normale Station” für rückenmarksverletzte Patienten verlegt.
Dort sollte ich rehabilitiert werden. Des Weiteren sollte mir der Umgang mit einem Rollstuhl gelernt werden.
Ich und keine Beine mehr - ein Leben im Rollstuhl ? Nein, dachte ich mir. Ich habe schon als “gesunder Mensch” immer gesagt: Das schlimmste ist für mich blind zu sein oder vielleicht querschnittgelähmt. Aber da weis ich ja was ich dann mache. Es war für mich gar keine Frage.
So, nun lag ich querschnittgelähmt im Bett und konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Ständig überlegte ich nur über das WIE ?
Ich war noch nicht mal imstande mit dem Rollstuhl an die Balkonbrüstung zu fahren und drüber zu klettern. Schließlich wäre dies ziemlich sicher gewesen. Die Station befindet sich im 6. Stockwerk.
Und dann kam meine Frau mit meinen beiden Kindern zu Besuch in die Klinik. Wie eigentlich jeden Tag. Die Menschen um mich herum bemerkten offensichtlich meine Gedanken. Meinen Wunsch nach dem Tod. Ich war sehr verzweifelt. Das alles kann doch kein Leben mehr sein. Nicht mehr das machen zu können, was man machen will. Ständig hilflos und abhängig zu sein. Das kann einfach kein Leben mehr sein.
Nach über 4-monatigen Aufenthalt in der Frankfurter Berufsgenossenschafts-Unfallklinik wurde ich -nach eigenem Willen- in die Werner-Wicker-Klinik nach Bad Wildungen verbracht. Dort wurden sehr gute Reha-Maßnahmen durchgeführt. Leider bekam ich durch die Lähmung sogenannte "Spitzfüße". Die Achillessehnen an beiden Beinen mußten operativ verlängert werden. Nach insgesamt 9 1/2 Monaten hatte ich nur noch einen Wunsch. Endlich nach Hause zu kommen.
Nun, bin ich wohl in der Phase zu entscheiden, ob es sich wirklich noch rentiert
weiter zu leben.
Tatsache ist, dass ich beim Lesen von diversen Tagezeitungen immer wieder von tödlichen Ausgängen bei Motorradunfällen konfrontiert werde. Jedes Mal steigt mir der Gedanke auf, der hat es gut, der hat es hinter sich. Der braucht sich nicht mehr im Leben rum zu quälen.
Der hat nicht plötzlich keine Beine mehr. Keine Behinderung ! Der hat auch keine Schmerzen mehr. Schmerzen die manchmal unerträglich sind. Frei von Behinderung und Schmerzen ! Das muss doch schön sein. Oder ?
Ich weis, dass ich nicht mehr leben kann - sondern nur noch Mitleben.
Jeder gesunde Mensch sagt: “Natürlich lohnt es sich zu leben. Du mußt auch an deine Familie denken !”
Gerade deshalb bin ich mir nicht sicher. Was ist denn für meine Frau und Kinder
besser ? Einen gehbehinderten Vater im Rollstuhl - der nicht mehr Fußball spielen gehen kann,
keine Fahrradtouren unternehmen kann. Auch andere Dinge wie z.B. am Strand langlaufen oder später mal in die Diskothek tanzen gehen usw..
Alles vorbei.
Braucht man wirklich einen Vater, der einen noch versucht zu erziehen. Einer der selbst nichts mehr alleine kann - aber den Kindern Verbote aussprechen muss ?
Ich glaube nicht.
Und braucht man wirklich noch einen Lebenspartner - der einen mehr behindert - als mit ihm sein Leben teilen zu wollen ?
Es ist nicht einfach plötzlich behindert zu sein. Aber es ist sicherlich auch nicht viel einfacher mit einem behinderten Partner leben zu müssen. Ich kann meine Situation nicht ändern - ich meine - ich kann nicht aus meiner Haut. Der Partner, der ja noch gesund ist und alles noch kann, könnte seine Situation ändern um endlich wieder weiterleben zu können.
Für einen körperlich behinderten Menschen stellt sich immer wieder die Frage: “Ist es Liebe oder doch nur noch Mitleid ?”
Diese Gedanken wurden von mir nach Beendigung des langen Klinikaufenthaltes aufgeschrieben. Mittlerweile hat sich in meiner Einstellung bzw. Meinung "einiges" geändert.
ZEIT HEILT WUNDEN, nur leider keine Querschnittlähmung.